Nach Olympia: Diemo Ruhnow wechselt vom Badminton-Feld ins Klassenzimmer

Seit einigen Tagen laufen die Olympischen Spiele in Tokio. Mit dabei: 156 Trainerinnen und Trainer, welche die deutschen Athletinnen und Athleten zu Olympia geführt haben und auch dort zu Erfolgen begleiten möchten. Wir lassen in den kommenden beiden Wochen Kolleginnen und Kollegen zu Wort kommen und freuen uns über deren Sicht auf Tokio, ihre Erwartungen an die Wettkämpfe und den Blick auf die eigene Karriere. Zum Auftakt sprechen wir mit Diemo Ruhnow, als Leitender Bundestrainer des Deutschen Badminton Verbandes für Doppel und Mixed vor Ort.

BVTDS: Du erlebst in Tokio deine ersten Olympischen Spiele, deinen Karriere-Höhepunkt und -Abschluss zugleich. Und das unter Corona-Bedingungen. Sicher hast du dir deine Premiere ein wenig anders vorgestellt. Wie erlebst du Olympia mit oder trotz der Rahmenbedingungen?

DR: Es ist natürlich etwas schade, dass wir Tokio und auch die Zuschauer hier nicht wie sonst erleben können. Auch die Abschlussfeier nicht miterleben zu können, war ein kleiner Wermutstropfen. Aber es geht für mich in allererster Linie um das Sportliche und da fällt es natürlich jetzt wesentlich einfacher, sich ohne Störfaktoren auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Abläufe sind ähnlich, wie wir sie auch von den Japan Open kennen. Wir sind knapp eine Woche vor dem Wettkampf ins Dorf eingezogen, haben täglich Training und ansonsten stehen Videoanalyse und Vorbesprechung an - wie auch bei anderen Großmaßnahmen. Die Gesamtatmosphäre ist natürlich etwas Besonderes, tausende Athleteninnen und Athleten sowie und Betreuerinnen und Betreuer aus aller Welt im Dorf. Etwas schade ist, dass wir hier mit einem sehr kleinen Betreuerteam arbeiten müssen, aber ich freue mich auch auf ein letztes Zusammenarbeiten mit meinen guten Kollegen hier vor Ort.

BVTDS: Als Leitender Bundestrainer bist du vor Ort für das Herrendoppel mit Mark Lamsfuß und Marvin Seidel und sowie für das Mixed Mark Lamsfuß/Isabel Herttrich verantwortlich. Wie schätzt du die Chancen deiner und der weiteren deutschen Badminton-Athletinnen und -Athleten ein? Hast du, habt ihr, Medaillenhoffnungen?

DR: Wir haben uns in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, das zeigen auch die Erfolge, die wir auf dem Weg nach Tokio gefeiert haben. Für Isabel, Mark und Marvin sind es die ersten Spiele, sie sind noch jung. Bis auf die Amerikaner im Herrendoppel haben wir insgesamt fünf Gegner, die entweder schon Weltmeister, Vize-Weltmeister oder im schlechtesten Fall schon auf Weltranglistenplatz 2 standen. Die wir allerdings schon schlagen konnten, oder zumindest nah dran waren. Wir sind daher mit Sicherheit nicht die Gruppenfavoriten, aber wir können jeden einzelnen Gegner auch schlagen. Am Spieltag muss dann alles passen - aber dafür haben wir in der Vorbereitung auch alles getan und gehen mit breiter Brust ins Turnier. Wir haben das Viertelfinale fest im Blick und wollen dann auch mehr!

BVTDS: Thema Karriereabschluss: Nach Olympia wird sich dein Leben radikal ändern: Klassenraum statt Sporthalle. Du wirst Lehrer für Sport und Mathematik an der Klaus-Groth-Schule in Tornesch, in der Nähe von Hamburg, wo deine Familie bereits heimisch geworden ist. Im Alter von 40 Jahren schlägst du ein neues Kapitel auf. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?

DR: Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, der mehr oder minder per Zufall entstanden ist, als ich vor ein paar Jahren einfach mal in die Schule nebenan „hineinspaziert“ bin. Der Trainerberuf ist ein toller, der aber in Deutschland leider nicht so gewürdigt und wertgeschätzt wie in anderen Ländern. Ich habe jetzt zwei kleine Söhne, die ich aufwachsen sehen und für die ich als Vater da sein will. Der Deutsche Badminton Verband hat sich schon sehr gestreckt und mir für die Zeit nach Tokio ein gutes Arbeitsumfeld in anderer Funktion mit viel Home Office geboten. Aber jeder Bundestrainer-Posten ist mit viel Reise-, Wochenend- und Gesamtarbeitsvolumen behaftet. Hier müssen wir strukturell in Deutschland einfach besser werden. Ich denke, beim Badmintonverband sind wir schon sehr fortschrittlich, zum Beispiel mit entfristeten Verträgen. Wenn ich da von anderen Kollegen höre, dann steht für mich der Deutsche Sport oft auf sehr wackligen, unsicheren Beinen. Das ist schade - der Trainerjob ist ein toller Beruf.

BVTDS: Siehst du grundsätzlich strukturelle Defizite für den Trainerberuf im deutschen Sport? Nicht wenige hauptberufliche Trainerinnen und Trainer kehren – wie du auch schon erwähnt hast - ihrem einstigen Traumjob nach irgendwann den Rücken. Was gilt es aus deiner Sicht zu verändern?

DR: Die Entlohnung im Vergleich zum Ausbildungsniveau - und hier spreche ich noch nicht von der wichtigen Erfahrung, die sich erst im Laufe der Tätigkeit ansammelt - ist meiner Einschätzung nach zu gering. Top-Trainer sind breit ausgebildete Führungskräfte. Ich selber habe mittlerweile drei Hochschulstudien (BSc Mathematik, MSc Sport Coaching, MBA) sowie den Diplom-Trainer absolviert. Aber mein Gehalt als Leitender Trainer an der Spitze entspricht aber in etwa dem eines Berufseinsteigers nach dem Mathematikstudium. Aus meiner Sicht sollte der Trainerberuf finanziell mindestens mit dem Lehrerberuf gleichgestellt, denn Toptrainer halten wir nur, wenn wir auch beim Gehalt international konkurrenzfähig sind. Wenn ich höre, dass Bundestrainerkollegen Schwierigkeiten haben, einen Hauskredit zu bekommen, weil sie stets mit befristeten Kettenverträgen beschäftigt werden, ist das einfach nicht in Ordnung.

BVTDS: Ist das deiner Einschätzung nach insbesondere ein Problem in Deutschland?

DR: Ja, das ist im Ausland oft anders - und da spreche ich noch nicht einmal von der Wertschätzung, die man als Trainer in Asien oder Amerika erfährt. Ich selber war in Österreich vor einigen Jahren in Österreich tätig, in einem sehr kleinen Badminton-Land. Aber dort habe als ich als Jugend-Nationaltrainer im Jahr 10.000 Euro netto mehr verdient denn als Disziplinbundestrainer. In Frankreich sind die Trainer direkt beim Staat angestellt und haben die Sicherheit, dass sie auf einen anderen Posten im Verband oder im öffentlichen Dienst eingesetzt werden können, sollten sie mal vom Bundestrainerposten ausscheiden wollen oder müssen. Aber nochmal: Der Trainer-Job an sich ist ein toller. Man muss sich halt mit den Gegebenheiten arrangieren und auch aktiv werden. Wenn dann aber Familie dazukommt, wird es schwieriger, auch dieser gerecht zu werden.

BVTDS: Du warst bisher mehr als 20 Jahre als Trainer in allen Alters- und Leistungsbereichen in Schleswig-Holstein, Hamburg, Österreich und zuletzt für den Deutschen Badminton Verband aktiv. Welche waren deine schönsten Erlebnisse?

DR: Es sind schon unzählige, auch verschiedener Art, die ich nicht missen möchte. Ich konnte viele tolle Menschen kennenlernen und man trifft auf unzählige Experten, mit denen man sich auf höchstem Niveau austauschen kann, das ist schon Klasse. Der ganze Weg in die Weltspitze: Man startet mit der Arbeit als Badmintontrainer und endet damit, Persönlichkeiten zu formen, Expertisen auszubilden. Als Trainer macht es mir immer noch Gänsehaut, wenn die Athleten „aha-Momente“ haben und Dinge funktionieren, die vorher vielleicht nicht so geklappt haben und wenn wir damit neue Leistungsniveaus erreichen. Oder wenn Training und Taktik so zusammenfließen, dass gute Siege herausspringen. Ein sehr besonderes Erlebnis, weil auch nicht so unbedingt erwartet, war die erste European Games-Medaille 2015 von Kira Kattenbeck und Raphael Beck im Mixed, die auf dem Weg zur Medaille im Viertelfinale ein Weltklasse-Mixed geschlagen hatten.

BVTDS: Dein Rat an alle aufstrebenden Trainerinnen und Trainer?

DR: Auf der einen Seite, Vollgas bei der eigenen Trainerentwicklung: Mein Gefühl ist immer mehr, dass viele junge Trainer meinen, „schon alles zu wissen“. Ich glaube, auf der einen Seite war ich auch so, auf der anderen Seite, habe ich dann doch ab und zu „zugehört“ und mir immer Möglichkeiten im In- und Ausland gesucht, neues Wissen anzuhäufen und von den Erfahrungen anderer Experten zu lernen. Dafür habe ich auch einiges an Geld in die Hand genommen, ich denke schon, das gehört als Investition auch dazu, wenn man als Trainer „nach oben“ möchte. Es lohnt sich auch, nicht nur als Trainer, sondern man reift auch als Mensch. Auf der anderen Seite: Breit aufstellen. Gerade in der heutigen Zeit kann man viel flexibler studieren und sich so ein zweites Standbein, vielleicht für später aufbauen, falls man mal unabhängig vom Trainerdasein sein möchte oder auch muss.

BVTDS: Zum Abschluss: Worauf freust du dich in deinem Leben ab August 2021 am meisten?

DR: Zu Hause zu sein. Das heißt bei meinen Kindern, endlich wieder öfter Freunde und Familie sehen, sesshaft zu werden. Aber auch wieder mehr Zeit für eigene Projekte zu finden. Auch im Badminton werde ich sicher ein paar spannende Sachen machen. Ich freu mich auch mal, als Tourist auf ein paar Turniere zu fahren und den Sport als Zuschauer zu genießen, ohne im Kopf nach Lösungen für die nächste Coachingpause zu suchen und das Training zu hinterfragen und neu zu planen.

Diemo Ruhnow (Foto: DOSB/picture-alliance)