Chapeau und alles Gute, Ulla Koch! Karriereende nach acht Olympischen Spielen und 42 Jahren

Was für eine unglaubliche Karriere: An acht Olympischen Spielen hat Ulla Koch als Trainerin teilgenommen, seit 2008 als Chef-Bundestrainerin für die Damen des Deutschen Turnerbundes. Mit den Spielen in Tokio endet die erfolgreiche Laufbahn der 66-Jährigen. Kurz vor dem Rückflug des deutschen Turnteams aus Tokio sprachen wir mit Ulla Koch – und wünschen alles Gute für die Zukunft.

BVTDS: Du hast vor Kurzem deinen 66. Geburtstag gefeiert, eigentlich wolltest du nach den Spielen 2020 deine lange Trainerkarriere beenden. Am 30. September 2021 ist es tatsächlich so weit. Wie fühlt sich der nahende Abschied an?

UK: Ich bin schon lange wehmütig. Es war und ist eine tolle Zeit und der Beruf war und ist meine Berufung. Ich habe bei den letzten Wettkämpfen jede Minute genossen. Aber es ist Zeit, jetzt müssen jüngere Kolleginnen und Kollegen ran und ich mache das, was ich auch meinen Athletinnen versucht habe beizubringen: Man muss Alternativen haben und neben der Leidenschaft zum Sport gibt es viele Alternativen im Leben, die auch schön sind.

BVTDS: Du hast nach dem Team-Wettbewerb einen kleinen internen Abschied gefeiert. Wann kommt die große Sause?

UK: Ich bin noch bis Ende September im Amt, auch um die Mannschaft während eines Lehrgangs auf die WM-Quali vorzubereiten. Zum Lehrgang werde ich viele aktuelle und alte Wegbegleiter einladen, auch alle Mädels, die ich in den vergangenen Jahren begleitet habe und ein wenig feiern.

BVTDS: Du hast in Tokio deine achten Olympischen Spiele als Trainerin erlebt, seit Barcelona 1992 bist du durchgängig dabei. Eine unglaubliche Anzahl. Was unterscheidet dieses Olympia insbesondere von den bisherigen Spielen? Kam trotz der schwierigen Bedingungen Freude auf?

UK: Corona hat alles geändert. Es gibt viele Einschränkungen, wir können nicht „mit der ganzen Welt kommunizieren“ und nicht „gemeinsam Erleben“. Das macht Olympia eigentlich auch aus. Aber im Gegenzug sind wir alle dankbar, dass die Wettkämpfe stattfanden, dass sich die harte Arbeit der letzten Jahre gelohnt hat und wir versuchten aus jedem Tag und jedem Wettbewerb ein Erlebnis zu machen.

BVTDS: Wie schätzt du das Abschneiden der deutschen Athletinnen ein? Das Team hat den Sprung in die Endrunde knapp verpasst, aber es gab Freude über drei Einzelfinals und den fünften Rang von Elisabeth Seitz am Stufenbarren.

UK: Leider ist dem Team der Einzug ins Finale um 1,5 Punkte misslungen. Wegen eigener Fehler, und das ist umso bitterer, da wir es selbst in der Hand hatten. Aber der Abschluss mit den Einzelfinales von Kim Bui und Elisabeth Seitz sowie der Silbermedaille von Lukas Dauser haben absolut versöhnt.

BVTDS: Die Einzelfinales hast du aber nicht betreut?

UK: Nein, ich habe in der Regel immer nur die Mannschaft betreut und die Einzelfinals den Heimtrainerinnen und -trainern überlassen. Die haben es verdient, die haben die eigentliche Vorarbeit geleistet. Ich habe immer gesagt, ohne die Heimtrainer bin ich nichts.

BVTDS:Du bist seit 1979 Trainerin, nun also 42 lange erfolgreiche Jahre. Wie blickst du auf diese lange Zeit zurück? Was hat dich mit Freude erfüllt, welche Enttäuschungen gab es möglicherweise?

UK: Es gab in all diesen Jahren viele schöne und unbeschreibliche Emotionen, Gefühle, Gänsehaut. Gemeinsam mit dem Team und jeder Athletin Erfolge zu feiern, war eine Freude, Medaillen bei internationalen Wettkämpfen zu erlangen, ist großartig. Zu beobachten, wie sich junge Menschen zu Persönlichkeiten entwickeln, dafür Wertschätzung zu erhalten, war und ist eine Bereicherung. Aber natürlich gab es auch Enttäuschungen. Wenn man gut vorbereitet ist und denn wegen eigener Fehler sein Ziel nicht erreicht. Die Mannschaftsfinals bei der WM in Stuttgart 2019 und jetzt in Tokio nicht erreicht zu haben. Trainerkolleginnen und -kollegen, die nicht ehrlich sind und einem das Messer in den Rücken stechen wollen oder Ungerechtigkeiten in der Behandlung von Trainer*innen und Athlet*innen beispielsweise.

BVTDS: Wie hast du das erlebt?

UK: Als ich als Cheftrainerin begonnen habe und nochmals vor einigen Jahren gab es ein Hauchen und Stechen im Trainerteam. Es ist nachher nicht mehr oft passiert, aber das waren unnötige Störfaktoren und diejenigen, die dazu geführt haben, dass Zielstellungen in Wettkämpfen nicht erreicht wurden. Zu Erfolgen kommen die Athletinnen und Athleten dann, wenn das Trainerteam funktioniert und an einem Strang zieht.

BVTDS: In Tokio waren und sind 156 Trainer dabei, darunter nur 13 Trainerinnen. Hast du eine Erklärung dafür, warum es nur so wenige sind?

UK: Das ist eine schwere Frage. Der Faktor Familie spielt sicher eine große Rolle. Wenn Kinder da sind, fühlen sich Frauen verantwortlich. Einige Trainerinnen verdienen weniger Geld als Männer und empfinden das zu Recht als ungerecht. Bestimmt gibt es aber auch Frauen, die lieber im Stillen als in der Öffentlichkeit und somit im Nachwuchsbereich arbeiten. Aber ganz bestimmt haben nicht wenige nach einem guten Schul- und Studienabschluss ganz andere reizvolle Perspektiven.

BVTDS: Du hast dich schon häufig deutlich zur Trainersituation in Deutschland geäußert. Wenn du die Entwicklung und den Status quo betrachtest, welche sind deine größten Kritikpunkte?

UK: Es gibt keinen vernünftigen Arbeitsmarkt für Trainer*innen. Die meisten Verbände haben zu wenig Geld, um adäquate Vollzeit-Stellen zu schaffen, deren Rahmenbedingungen reizvoll sind und die es ermöglichen, unter akzeptablen Rahmenbedingungen eine Familie zu ernähren und auch mal in Urlaub zu fahren. Ich selber hatte zu Beginn eine halbe Stelle, zu weiteren 50% war ich Lehrerin. Hinzu kam, dass ich am Anfang um ein gutes Gehalt kämpfen musste. Das ist nicht ausreichend attraktiv.

BVTDS: Zu guter Letzt: Was machst du nach Olympia und damit nach deiner Karriere? Worauf freust du dich?

UK: Da wird es einiges geben: Ausruhen, malen, Familie und Freunde, Golf spielen, „rent a grandma“, Lesehilfe für Kinder… Aber vielleicht werde ich auch Mentorin für junge Trainerinnen und Trainer. Ich werde sicher etwas finden.

Ulla Koch (Foto: DOSB/picture-alliance)