Wie bitter: Corona machte Anja Selbach einen Strich durch die Olympia-Rechnung

Wie bitter! Die Koffer für Peking waren schon gepackt, da passierte es: Positiver Corona-Test, aus der Traum von der ersten Olympia-Teilnahme als Trainerin. Eine von nur vier vom DOSB nominierten Trainerinnen für die Olympischen Winterspiele in Peking war Anja Selbach, Weltmeisterin und Bronze-Medaillengewinnerin im Skeleton. Doch statt nach Yanqing, an die olympische Bahn, ging es nach Winterberg – zur Deutschen Juniorenmeisterschaft. Dort erreichten wir die 38-Jährige zum Gespräch.

BVTDS: Corona hat dir einen Strich durch die Olympia-Rechnung gemacht. Wie bitter war das?
AS: „Das war schon sehr hart. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren vieles hintenangestellt, auch meinen eigentlichen Job, und wollte es nun natürlich zu Ende bringen. Insofern tut es schon weh. Aber ich will mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für die Athletinnen und Athleten ist, die wegen einer Infektion oder Quarantäne ihre Wettkämpfe verpassen. Wenn man sich, wie zuletzt beispielsweise Eric Frenzel, in Peking über Tage im Quarantänehotel befindet, ohne etwas tun zu können, ist das psychisch brutal hart.“

BVTDS: Bei dir selber war es ein positiver Selbsttest?
AS: „Genau. Fünf Tage vor dem geplanten Abflug, Montag war es, habe ich mich morgens getestet. Und das war es. Ich wollte mich eigentlich auf den Weg zum Team nach Kienbaum machen.“

BVTDS: Und es bestand keine Hoffnung, dass du dich rechtzeitig würdest freitesten können?
AS: „Natürlich habe ich darauf gehofft. Aber eigentlich war schnell klar, dass es ausweglos ist. Ich hätte innerhalb von fünf Tagen vor dem Abflug vier negative Tests vorweisen müssen, mit einem CT-Wert von über 40, um in China nicht wieder in Quarantäne zu müssen. Es war schnell absehbar, dass es sich nicht mehr lohnen würde, wäre ich hinterhergeflogen.“

BVTDS: Statt nach Peking hat es dich also nach Winterberg verschlagen, zur Deutschen Juniorenmeisterschaft. Warum das?
AS: „Weil das mein eigentlicher Job ist. Ich bin seit 2015 Bundestrainerin Nachwuchs, in dieser Saison aber komplett mit dem Weltcup-Team unterwegs und habe nur drei Nachwuchs-Veranstaltungen besucht. Insofern ist es schon in Ordnung hier in Winterberg.“

BVTDS: Warum bist du dann in dieser Saison mit dem Weltcup-Team unterwegs?
AS: „Es war der Wunsch unseres Cheftrainers Christian Baude, dass ich das Team ergänze, um eine weitere Betreuerin zu haben. Noch dazu eine Person, die Olympische Spiele als Athletin erlebt hat.“

BVTDS: Mit welcher Konsequenz für den Nachwuchs?
AS: „Meine Kollegen mussten ordentlich ins Rad packen. Aber es war eine gemeinsame Entscheidung, alle haben diesen Schritt mitgetragen.“

BVTDS: Wie kam es dazu, dass du 2015 Trainerin geworden bist?
AS: „Ich hatte meine aktive Laufbahn beendet und war in der glücklichen Situation, selber entscheiden zu können, wie es weitergehen sollte. Im aktiven Leistungssport war ich ja ehrlicherweise auf einer Art Egotrip unterwegs, alles andere wurde untergeordnet. Mein Mann hatte das zu 100% mitgetragen. Ich habe mir also eine Findungsphase gegönnt, in der ich auch überlegt habe, komplett rauszugehen aus dem Sport. Ich hatte BWL mit Vertiefung Sportmanagement und Marketing studiert und auch andere berufliche Möglichkeiten.“

BVTDS: Aber dann bist du doch dabeigeblieben.
AS: „Ja. Ich hatte schon in meinem letzten aktiven Jahr mit Nachwuchsathleten trainiert und hatte eine Vision, was und wie es anders machen wollte mit den jungen Athletinnen und Athleten. Also habe ich die Chance ergriffen, eine eigene Gruppe übernommen und ein eigenes Konzept etabliert. Aber sehr schnell rutscht man doch immer wieder in den internationalen Bereich.“

BVTDS: Zieht es dich dahin?
AS: „Sagen wir so: Die Angebote in 2018 und 2020, Chef-Bundestrainerin zu werden, habe ich abgelehnt. Wir haben derzeit ein sehr gutes Trainerteam, da hoffe ich auf Konstanz, so dass ich mich weiter dem Nachwuchs widmen kann.“

BVTDS: Was macht für dich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus?
AS: „Natürlich ist es toll, wenn ich den jungen Menschen zeigen kann, dass es funktioniert, mit 100 km/h eine Bahn herunterzufahren. Noch erfüllender ist es aber, etwas fürs Leben mitgeben zu können. Die Kinder lernen Struktur, für Dinge zu arbeiten, aus Tälern herauszufinden. Das ist doch entscheidend.“

BVTDS: Wir erleben es häufig, dass die besten Trainerinnen und Trainer dem Nachwuchs den Rücken kehren, um bei den Aktiven tätig zu werden. Das schmälert auch die Qualität der wichtigen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wie sieht es – abgesehen von dir – beim Skeleton aus?
AS: „Trainerinnen und Trainer sind grundsätzlich Mangelware. Auch wir kämpfen jedes Jahr wieder, eine gute Betreuung der Athleten an den vier Stützpunkten sicherstellen zu können.“

BVTDS: Woran machst du es fest, dass Trainer*innen Mangelware sind?
AS: „Naja, weil man mehr oder minder sein Leben aufgibt, sich voll reinknien muss in den Job, um das System aufrecht zu erhalten. Viele unserer Athletinnen und Athleten sind zudem schon in ihrer aktiven Laufbahn Teil der Behörden wie Bundespolizei oder Bund. Das gibt Sicherheit, ist damit aber Fluch und Segen zugleich. Die geben nicht viele auf.“

BVTDS: Wie sieht es aus mit Trainerinnen?
AS: „Für Frauen ist die Tätigkeit nochmal schwieriger zu realisieren. Mit Familie ist der Beruf nicht vereinbar, da muss man sich entscheiden. Und dann entscheiden sich Frauen halt, anders als Männer, mehrheitlich für die Familie. Allerdings muss ich sagen, dass es meiner Einschätzung nach mehr und mehr Trainerinnen, insbesondere im Breitensport gibt. Das finde ich schon gut und wichtig, ganz besonders auch für den Nachwuchsbereich.“

BVTDS: Wie verbindest du deinen Job mit der Familie?
AS: „Mein Mann war bis 2014 Bundestrainer Snowboard Freestyle und weiß, was der Job bedeutet. Mittlerweile ist er als Physio bei den Fußballern von RB Salzburg beschäftigt und häufig daheim.“

BVTDS: Aber du nicht?
AS: „Klar, im Winter bin ich viel unterwegs. Aber im Sommer passt es schon. Da habe ich meine kleine Nachwuchsgruppe in Berchtesgaden mit der ich trainiere und kann ebenfalls viel Zeit zu Hause verbringen.“

Anja Selbach an der Seite ihres ehemalige Trainerkollegens Jens Müller (Foto: imago)