Sabine Tschäge hat keinen Zweifel: "Ja, ich habe den richtigen Beruf!"

156 Trainerinnen und Trainer umfasst das deutsche Olympia-Aufgebot. Darunter: Nur 13 Frauen, welche die deutschen Athletinnen und Athleten in Tokio betreuen. Eine davon ist Sabine Tschäge, die als Bun-destrainerin für den Leichtgewichts-Doppelzweier Verantwortung trägt. Hier berichtet Sabine über ihre Eindrücke aus Tokio – und einiges mehr.

BVTDS: Du erlebst deine ersten Olympischen Spiele – und das unter Corona-Bedingungen. Sicher hast du dir deine Premiere ein wenig anders vorgestellt. Wie erlebst du Olympia mit oder trotz der Rahmenbedingungen?

ST: Ja, das sind meine ersten Spiele, 2018 war ich bei den Youth Olympics in Buenos Aires als Bundestrainerin U19 dabei, 2012 bei Olympia in London habe ich die Ruderwettkämpfe als Zuschauerin verfolgt. Zudem hatten wir 2019 mit der U19-Mannschaft einen Wettkampf in Tokio absolviert, das war ein guter Vorgeschmack. Aber ja, alles läuft anders als bisher erlebt. Wobei die ganze Saison ja schon anders abläuft als in den Jahren davor. Trainingslager wurden kurzfristig abgesagt und umgeplant. Vor jeder Regatta standen Fragezeichen, wie und ob sie stattfinden wird, im Training musste viel improvisiert werden. Man hat sich schon daran gewöhnt, dass nichts ganz wie geplant läuft und ist dankbar, dass Japan die Spiele durchzieht. Natürlich fehlt hier nun das ganze Begleitprogramm, die Zuschauer, Tokio anschauen… Es ist schade, dass alles entfällt. Hier im olympischen Dorf kommt aber dennoch Olympiastimmung auf und auch an der Regattastrecke sind jetzt alle Nationen da. Die Spannung steigt und damit auch die Aufgeregtheit. Die Zuschauer fehlen und damit die einzigartige Stimmung, in London war es gigantisch. Ich glaube, das werden wir alle am meisten bei den Rennen vermissen, aber wie gesagt: Das kennen wir ja bereits.

BVTDS: Du bist aktuell Bundestrainerin für den Leichtgewichts-Doppelzweier der Männer mit Jason Osborne und Jonathan Rommelmann und betreust das Duo auch in Tokio. Wie schätzt du die Chancen der beiden ein? Habt ihr Medaillenhoffnungen?

ST: In diesem Jahr waren wir immer auf dem Treppchen, das wollen wir natürlich beibehalten. Und eine Farbe fehlt uns noch… Im Doppelzweier gibt es eine unglaubliche Leistungsdichte. Jason und Jonathan wollen hier nochmal den Turbo zünden, dann sehen wir was dabei herauskommt.

BVTDS: Wie sieht deine persönliche Zukunft nach Olympia aus? Deine Anstellung als Bundestrainerin in der aktuellen Funktion galt ursprünglich nur bis Olympia, weil der Leichtgewichts-Doppelzweier nicht mehr zum Olympischen Programm gehören sollte.

ST: Sehr zu unser aller Überraschung bleibt der Leichtgewichts-Doppelzweier auch 2024 im Programm, weil die Vorbereitungen für das Coastel Rowing, welches für den Leichten Doppelzweier ins olympische Programm aufgenommen werden soll, durch Corona ins Stocken geraten sind. Geplant ist dennoch, dass ich im Herbst 2021 wieder als Leitende Bundestrainerin für den U19 Bereich zuständig sein werde. Aber wie bei vielen Kolleginnen und Kollegen muss dazu erst mein Ende 2021 auslaufender Vertrag verlängert werden, für den DRV bin ich erst seit 2017 tätig.

BVTDS: Nur rund 8% des deutschen Trainerstabes in Tokio sind weiblich. Auch du bist die einzige Bundestrainerin im DRV. Wie ist es, einzige weibliche Ansprechperson zu sein? Worin siehst du die besondere Bereicherung von Trainer-Teams durch Trainerinnen?

ST: Im Moment bin ich in der A Mannschaft die einzige Trainerin beim DRV, ja. Im Verband gibt es aber noch die Leitende U23-Bundestrainerin Brigitte Bielig. Manchmal frage ich meine Kollegen und andere Fragenden, wie sie es finden würden, wenn sie die Ehre hätten, nur mit Frauen zu arbeiten. Meistens gibt es ein Lächeln, selten eine Antwort. Ich würde die Teamkonstellation aber Geschlechterunabhängig betrachten. Jeder Mensch kann ein Team bereichern. Viele belegen die Geschlechter auch mit zu vielen Vorurteilen. Eine größere Akzeptanz von Trainerinnen in der Trainerlandschaft ist wünschenswert, damit es „normal“ wird und Qualifikation und Fähigkeit das Kriterium sind und nicht das Geschlecht. Ich finde es schade, dass die Frage des Geschlechts überhaupt gestellt wird und eine Rolle spielt. Aber persönlich fände ich es schon gut, wenn hier noch eine oder mehrere Trainerinnen ein Boot trainieren würden…

Was mir häufig auffällt, und das ist auch hier so, dass wir nicht als Trainerinnen und Trainer, sondern als Betreuer geführt werden. Die meisten haben eine lange Berufserfahrung, viele Entbehrungen und verrückte Anstellungsverhältnisse auf sich genommen, ein Studium absolviert, tragen Verantwortung und arbeiten sehr eigenverantwortlich. Wir müssen viele Fähigkeiten mitbringen, in einigen Sportarten geringe Bezahlung und kaum Gehaltsanpassungen in Kauf nehmen. Der Begriff „Betreuer“ assoziiert für mich nichts. Das Trainerwesen ist ein richtiger Beruf, der Anerkennung und ein schlüssiges Gehaltskonzept verdient, nicht nur Kampagnen.

BVTDS: Du hast die Entbehrungen angedeutet. Als Trainerin ist man „rund um die Uhr“ im Einsatz. Wie meisterst du den Spagat zwischen Privatleben und Job?

ST: Rudern kann einen schon 24/7 beschäftigen, im Olympia-Jahr ist man zudem viel unterwegs. Freiräume versuche ich bewusst zu schaffen, sonst bleibt die Freude am Job irgendwann auf der Strecke. Die meisten Freunde wissen, dass ich im Sommer immer unterwegs bin, dass es sich jetzt über ein ganzes Jahr gezogen hat, machen sie hoffentlich auch mit. Ich bin gerne mit einem Boot auf dem Wasser, die Arbeit dort finde ich immer wieder spannend, kein Athlet, keine Athletin, keine Mannschaft tickt gleich, daraus schöpfe ich Inspiration und Motivation. Verbands- und Sportpolitik können aber schon mal frustrieren. Den Kopf bekomme ich besonders bei Radtouren und kreativen Arbeiten frei.

BVTDS: Hast du aufgrund der Belastungen und Entbehrungen schon einmal über einen Jobwechsel nachgedacht? Was hält dich andererseits im Trainerberuf?

ST: Natürlich habe ich schon mal darüber nachgedacht, ich glaube das hat jeder mal. Andererseits glaube ich, dass ich in einem normalen Bürojob nicht mehr gut klarkommen würde und es mich auch nicht reizen würde. Wie ich schon beschrieben habe, die Abwechslung ist das Spannende. Die Herausforderung, ob es gelingt, eine Mannschaft zu formen, die Höchstleistungen zeigen kann. Der Austausch mit jungen Athleten, immer auch am Puls der Zeit zu bleiben und zu sehen wie Persönlichkeiten heranreifen, das reizt. Keine Saison ist wie die Saison davor, es gibt immer neue Herausforderungen, das gefällt mir. Wenn es manchmal sehr stressig und irrational wird, dann träume ich mich schon mal weg, aber ich glaube das ist in jedem Job mal so. Und wenn ich jetzt das hier in Tokio erlebe oder an die vergangenen Jahre zurückdenke, dann kann ich nur sagen: Ich glaube, ich habe den richtigen Beruf.

BVTDS: Ein Blick in die Kristallkugel: Was macht Sabine Tschäge in rund 10 Jahren?

ST: Ha, eine gute Frage… Ich plane nie weit voraus, bisher hat sich immer etwas Spannendes ergeben. Und das, glaube ich, wird es auch noch in 10 Jahren. Es hat sich für mich bewährt, offen zu bleiben und Möglichkeiten, die sich bieten, zu ergreifen.

Sabine Tschäge (Foto: DRV/Schwier)